Mittwoch, 5. Oktober 2011

Bier 119: Karbacher Köhler-Bier (Appenzeller)

Einer der herbesten Verluste in der Schweizer Brauereilandschaft war, nein, ist die Brauerei Karbacher in Schönenwerd SO. Nein, DER herbeste Verlust. Nicht, weil das Bier bitter gewesen wäre. Das hatte den einmaligen Karbacher-Geschmack. Sei es nun das Lager, das Spez oder die zahlreichen Spezialitäten aus anderen Getreidesorten als Gerste. Unverkennbar Karbacher. So malzig-biscuithaft-getreidig irgendwie. Einige in der Region sollen gesagt haben, es fischele. Aber darauf sind sie wohl wegen des Fisches im Logo gekommen.

Die Brauerei habe ich noch als Gymnasiast auf einer Bier-Entdeckungsfahrt von Langenthal aus entdeckt. In Aarau hatte ich mich im grossen Telli-Markt mit Müllerbräu aus Baden eingedeckt und fuhr dann auf der Hauptstrasse gegen Westen aus der Stadt heraus, und da war ein Getränkeladen, in dem ich zum ersten Mal Karbacher sah und kaufte. Veneram, videram, emi. Damals noch in der bald darauf aufgegebenen traditionellen 58-cl-Bügelflasche (zugunsten einer auch nicht unschönen 50-cl-Bügelflasche. Wie oft fuhr ich später noch hin! Bevor der Getränkemarkt zwischen Brauereirestaurant und Aarebrücke eröffnet wurde, musste man sich im Hof der Brauerei auf die Rampe schwingen, im Bureau läuten und die Bestellung aufgeben. Dann bekam man das Bier ab Rampe und einen richtigen Rapport resp. eine Rechnung sozusagen, die man natürlich vor Ort bezahlte. Einmal ging ich sogar ins Innere zum Zwickeln. Später kam dann eben der Getränkemarkt, der immer noch existiert. Da fuhr ich ab und zu von Zürich herkommend, mit dem Zug via Aarau - Schönenwerd - Olten, um mich mit Karbacher einzudecken.

Dann plötzlich, 2009, der Schock. Ich betrete den Getränkemarkt (man beachte die lebhafte Schilderung im Praesens historicum!) und sehe lauter Appenzeller-Biere. Ja, die Brauere arbeite nicht mehr, sagt mir die Frau. Lediglich das Köhler-Bier werde noch gebraut, aber in Appenzell. Ich kann gerade noch einige Karbacher-Gläser zusammenkaufen (von denen ich schon etliche habe), darunter dasjenige auf dem Bild unten (für nur Fr. 1.35 übrigens) und halt Appenzeller Lager hell und Lager dunkel, das man sonst bei uns nicht bekommt. Das Dümmste an der Sache: Die letzte Ladung Karbacher mit allen Sorten, einige Monate vorher gekauft, hatte ich im Keller vergessen und musste sie, abgelaufen, allesamt ausschütten. Die Flaschen gab ich ins Altglas. Wenn ich gewusst hätte, dass die Brauerei schliessen würde, hätte ich sie aufbewahren können.

Zum "Köhler": Schon in der Nase fehlt der typische Karbacher-Charakter, im Mund erst recht. Das trinke ich nie wieder. Farbe hellbraun, Alkohol 5.0 %. Auf der Rückenetikette steht, und es mutet den Kenner und Liebhaber fast höhnisch an: "Köhler-Bier. Eine Spezialität der Brauerei Karbacher" Dann folgt die Erwähnung einer Auszeichnung aus dem Jahre 2003, natürlich, als das Bier noch aus Schönenwerd kam, nämlich Bronze beim "BRAU Beviale Award". Dann: "Brauerei Karbacher, CH-5012 Schönenwerd", und jetzt das Perfide: "in Zusammenarbeit mit der Brauerei Locher [...] Appenzell". Das ist noch blöder als das Amboss-Bier, das sich "das Lieblingsbier unserer Lieblingsstadt" nennt, wobei Zürich gemeint ist, wo die Etikette ebenso verschleiernd vermerkt: "in Zusammenarbeit mit der Brauerei Baar". Dass diese im Kanton Zug liegt, wird natürlich verschwiegen.

Zurück zum Thema, dem nostalgischen Schwelgen. Was gab es da für Karbacher-Biere! Das Lager, das Dunkle (später vom dunklen Haferbier abgelöst, s. u.), das Spez, die Maisperle (mit Maisanteil), die Reisperle (mit Reisanteil, wurde schon vor einiger Zeit eingestellt, wohl wegen Qualitätsschwankungen; in der Tat hatte ich ab und zu ein überegheites), sodann das Hopfebuurli (ein naturtrübes Biobier mit Hopfen von Ackermanns aus dem nahen Wolfwil), zweimal im Jahr (auf Ostern und Weihnachten natürlich) das Festbier, dann seit einiger Zeit die helle und dunkle Haferperle (mit dem unbeholfenen Namen "Mustang" und ebensolcher Etikette mit einem Rössli drauf); weiter das Starkbier Boy, das in den letzten Jahren nicht mehr gebraut wurde, und schliesslich das Diätbier Skiff (kohlenhydrat- und alkoholreduziert). Eine Zeitlang gab es noch das Hanfbier "Smile", und die jüngste Lancierung war eben das halbdunkle Köhler-Bier.

Am 9.6.03 habe ich für meinen besten Freund und Karbacher-Fan folgendes Karbacher-Menu zubereitet (er hatte drei Tage vorher seinen 29. Geburtstag, daher):
I. Skiff Diätbier, dazu Pringles Paprika
II. Lager hell, dazu Speckzwetschgen
III. Spezialbier hell, dazu Bierrettich
IV. Biobier "Hopfebuurli", dazu Rosmarinstangen mit Rohschinken
V. Köhler-Bier, dazu TUC-Crackers mit Parfait-Brandy-Mousse
VI. Reisperle, dazu Reis-Chips mit Tomatendip
VII. Maisperle, dazu Popcorn
VIII. und IX. Haferperle hell und dunkel, dazu Hörnli mit Gehacktem
X. Starkbier Boy 8 %, dazu Brot und Veltliner Käse
(Bleibt noch zu erwähnen, dass jedes Bier in einem anderen Karbacher-Glas getrunken wurde, von denen mir der Gast eines zerschlug - natürlich ausgerechnet dasjenige, das man später nicht mehr kaufen konnte: eine konische, ganz hohe 3-dl-Stange.)

Gegründet wurde die Brauerei 1886 vom Bayer Franz Karbacher, zuletzt geführt von Urenkel Paul. Vielleicht gibt es Hoffnung? Folgende Meldung aus dem Handelsregister ist allerdings auch schon drei Jahre her:
SHAB: 198 / 2008 vom 13.10.2008
Brauerei Karbacher AG in Liquidation, in Schönenwerd, CH-249.3.000.607-4, Aktiengesellschaft (SHAB Nr. 190 vom 01. 10. 2008, S. 12, Publ. 4672614).
Firma Neu: Brauerei Karbacher AG. In Gutheissung des Rekurses hat das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 03.10.2008 das Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen, in Olten, vom 24.09.2008, mit welchem über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet wurde, aufgehoben. Die Gesellschaft ist daher wieder in die Verfügung über ihr Vermögen eingesetzt. 
Immerhin sind an den Beizen die Karbacher-Wirtshausschilder noch dran; die werden offenbar nicht durch solche des Appenzeller Biers ersetzt.

Nicht mehr miterleben musste die Schliessung Peter Karbacher, geboren am 27.3.1954, der Bruder Pauls (?). Er hat sich am 16.6.1986, ausgerechnet im 100-Jubiläumsjahr, erschossen.

(halb) getrunken am 4.10.11

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen