Mittwoch, 26. Januar 2011

Bier 16: Römer Edelhell

Das Erstaunlichste vorweg: Es handelt sich um ein Zauberbier resp. um eine Zauberharasse. Sie wird nie leer! Wie das geht? Man kauft für ein Sommerfest im August eine Harasse als zweite Reserve neben den Hauptbieren Aare hell und Aare amber sowie Reservebier 1, einem 20erpack Elsässer Meteor. (Dass dann fast nur Wein getrunken wurde, wobei es viel zuwenig Roten hatte, sei nur am Rande vermerkt. Aber der Wein war auch gut: Aligoté und Chardonnay die weissen, Pinot noir und Gamaret die roten, alles von Raymond und Réjane Ramu aus Dardagny bei Genf. Chapeau! http://www.domainedesesserts.ch/) Und dann trinkt man den restlichen Sommer, den Herbst und Winter hindurch natürlich Spezialitäten, hat aber immer eine bis zwei Flaschen Römer im Kühlschrank für den Fall, dass ein Banause auf Besuch kommt und man dann nicht nur Spezialitäten kühlgestellt hat und am Ende noch ein Samuel Adams oder ein Trois dames IPA opfern muss, das der Banause in seiner kulinarisch grenzenlosenIgnoranz dann noch abschätzig kommentiert. Auf jeden Fall wird die Römer-Harasse nie mehr leer!

Dabei ist das Bier nicht schlecht. Ein Schweizer Lagerbier, wie es im Lehrbuch steht. Selbstverständlich hat es 4.8 % Alkohol. Die Farbe sehr hell (heller als es im Lehrbuch stünde, gäbe es ein solches), der Geschmack sauber, schwach gehopft, fein. Fast wäre man geneigt zu sagen: wie in Kartellzeiten vom Kartell vorgeschrieben, ABER NEIN! Das wäre grundfalsch! Ist doch die Brauerei gerade extra als Nichtkartellbrauerei gegründet worden, 1963, also fast gleichzeitig wie Boxer (1960), die andere Rebellenbrauerei der Schweiz. Also unsere Brauerei hier, die das heute degustierte "Römer Edelhell" braut, wurde als Abteilung des Obstverwertungsbetriebes Jakob Ottiger in Hochdorf LU gebaut, damit der Denner Schweizer Bier günstiger als zu dem vom Schweizerischen Bierbrauerverein vorgeschriebenen Mindestpreis anbieten konnte, jää, als Disköünter, nidwohr. Zu diesem Thema gibt es sogar einen BGE (Bundesgerichtsentscheid) vom 28.11.1972: Denner wollte auch Hürlimann und Löwenbräu Zürich billiger verkaufen, worauf es Puff gab. (Welche Brauerei gibt es heute noch? Weder Hürlibrunz noch Löwenbräu, aber Römer!) Der BGE ist auch aufschlussreich über das Denken im Kartellwesen (ein Stück Schweizer Biergeschichte).
http://www.polyreg.ch/d/informationen/bgeleitentscheide/Band_98_1972/BGE_98_II_365.html
Es handelt sich also um das Denner-Bier resp. um die Eigenabfüllung. Weshalb für dasselbe Bier mehr bezahlen? Der Stil, Leute!

Wie heisst nun die Brauerei? Der Betrieb hiess zunächst für lange Zeit "Lupo Getränke Hochdorf". Wuala:

Heute nennt sich die Eigenabfüllung Römer; erhalten hat sich das "edelhell" (siehe den grünen Bierteller). Es gab auch mal eine, die "Rigi hell" hiess. 






Der Text ist ja recht doof. Ein Potpourri gängigster Bierbewerbungsattribute. Das geht hin bis zum Oxymoron "mildwürzig". Grammatikalisch interessant auch der Teilsatz "vergoren mit feinster Hefe". Ist das nun eines der aufgezählten Elemente, die dem Rigi hell "[...] Farbe und [...] Geschmack" geben? Das wäre grammatikalisch falsch, denn ein prädikatives Partizip kann doch nicht als Subjekt eingesetzt werden, um Himmels Willen! Grammatikalisch korrekt, aber inhaltlich falsch, wäre der Bezug von "vergoren", als Einschub, auf den Hopfen. Der wird ja aber nicht vergoren, sondern die Bierwürze.  Schliesslich wüsste ich gerne, was erstens mit "schonender Abfüllung" gemeint ist und was das zweitens für einen Einfluss auf Farbe und Geschmack haben soll. Schauen wir einmal in die Flaschenabfüllanlage hinein, hier gerade beim Traktieren von 50 cl-Denner-Lagerbier-Einwegflaschen:


Sieht doch sehr schonend
aus, nicht? Eben.










Etwas westlich von Hochdorf befindet sich das Dorf Römerswil; da haben wir den Bezug. In Ottenhusen und Ferren bei Hochdorf, auch daselbst, fand man römische Mauerreste. Drehen wir das Markenkarussell noch etwas weiter. Später kam die Obstverwertungsanlage zur Firma Granador; heute läuft alles unter Ramseier. Fast ein wenig absurd: In Ramsei mosten sie nicht mehr, dafür unter anderem in Kiesen unter dem Namen Ramseier, nicht mehr "Kiesener", und dafür steht auf unser Römerbier-Etikette "Ramseier Suisse AG, Sursee", wo nämlich auch gemostet wird. Hier noch ein altes Kiesener-Süssmostglas:



















Vom Namen Lupo zeugt übrigens noch die Harasse:
Lupo und Römer im selben Signet, das hat schon fast historischen Wert. Wahnsinn! Das Turiner Grabtuch - als Wunder ein Dreck dagegen.  Was bisher unerwähnt geblieben ist: Die Eingeborenen sagen nicht Hochdorf, sondern Hófdere.

Etwas ist uns bei den Biertellern noch aufgefallen, nämlich der Satz: «Aber dank unserer neuen, modernen Anlage können wir den alten Brauergrundsatz in die Tat umsetzen: "Kurze Maischarbeit ergibt edle Biere"» Was es damit wohl auf sich hat? Also, es ist voglendermassen: Die Lupo-Brauerei wandte als erste in der Schweiz das sogenannte Reiter-Verfahren an. Normalerweise hingegen wird das Malz geschrotet, in der Maischpfanne mit Wasser vermischt (maischen ist ein altes Wort für mischen) und erwärmt, wobei sich die Stärke in Malzzucker verwandelt, der später vergoren werden kann. Das Maischen dauert zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden. Im sogenannten Läuterbottich, das ist der zweite Kupferkessel (heute oft auch Chromstahl), wird sodan der Malztreber, die Spelzen des Getreides, aus der Maische herausgefiltert, und die Flüssigkeit heisst nun Würze. Diese wird nun (in einer separaten Würzepfanne oder wieder in der Maischpfanne) anderthalb bis zwei Stunden unter Beigabe von Hopfen gekocht; dies ist der eigentliche Brauprozess, und heraus kommt das sogenannte Jungbier (die weiteren Schritte vor der Vergärung sind hier nicht von Belang). Zurück zum Reiter-Verfahren. Hier wird das Malz nicht grob geschrotet, sondern fein gemahlen. Dadurch muss nicht geläutert werden, sondern die viel feineren unlöslichen Malzbestandteile werden durch einen Vakuumtrommelfilter aus der Würze entfernt. Auf jeden Fall kann so mit diesem Reiter-Verfahren, nach einer Einmaischzeit von 3 Stunden, kontinuierlich Würze produziert werden; das zeitaufwendige Hin und Her zwischen Maischpfanne Läuterbottich Würzepfanne/Maischpfanne entfällt.

Heute produziert die Brauerei auch das "Farmer-Bier" für die Landi.





































Sicher möchte man noch zwei Verwaltungsräte im Jahr 1969 wissen. Also gut, es seien hier zwei genannt: Dr. Fritz Bieri, von Ruswil, Präsident, und M. Fleischli, von Ballwil.

Bleibt allenfalls noch die Frage offen, ob es denn in Hochdorf nicht noch eine andere Brauerei gegeben habe? Doch. Die Brauerei Hochdorf. Das Hochdorfer Bier.
Diese um 1862 entstandene Brauerei wurde 1988 von den gopferdammten Feldschlösschen-Wachstumsfanatikern gekauft, und am 30. Juni 1992 wurden die letzten 100 Hektoliter gebraut. Heute befindet sich in dem Gebäude ein Kulturzentrum (http://www.kulturzentrumbraui.ch/) und ausserdem das Restaurant "Braui" von Werner Tobler (http://www.restaurantbraui.ch/). Dieser Koch ist ein wahrer Held. Das stimmt. Ohne Wenn und Aber. Im AT-Verlag gibt es ein Kochbuch von ihm: Werner Tobler, cuisinier. ISBN-10: 3-03800-475-8. Es ist in fünf Kapitel gegliedert: Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Metzgete. Das sagt eigentlich schon alles. Hier aber trotzdem noch ein Ausschnitt aus dem thematisch geordneten Inhaltsverzeichnis:

Nun kommen natürlich noch die ganz Spitzfindigen und sagen: "Ja, aber gibt es nicht in Südwestdeutschland noch ein Hochdorf mit einer Brauerei?" Natürlich, klar. Und diese Brauerei ist sogar noch in Betrieb: http://www.hochdorfer.de/.
















getrunken am 23.1.11

Inzwischen schreiben wir den 29.10.11, und ich habe nun endlich das alte Hochdorfer-Glas wieder gefunden. Also habe ich gestern ein Farmen-Bier reingefüllt und photographiert.

1 Kommentar:

  1. Es hat mich einfach mal wunder genommen, wer eigentlich das Denner Bier braut und bin auf diesen interessanten Artikel gestossen, Merci vielmals!

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